Prof. dr. sc. Miljenko Jurkoviæ
Die Denkmallandschaft Novigrads in Geschichte und Gegenwart
 
Ein Stadtbild ist unvermeidlich und unwiederbringlich durch den Lauf der Zeit bedingt. Und die Denkmallandschaft Novigrads sah in der Vergangenheit völlig anders aus als heute. Die Zeit ihrer Blüte deckt sich fast völlig mit der Entstehung der Stadt und mit der politischen Bedeutung, die sie im frühen Mittelalter gewann. Selten wurde eine Küstenstadt in Istrien, aber auch darüber hinaus, so plötzlich zum Mittelpunkt des Geschehens, um diese Rolle genauso plötzlich zu verlieren. Und in der Tat besagt ihr Name - Neapolis, Civitas nova, neue Stadt - dass sie einen jähen Aufstieg erlebte. Dazu trugen gewiss die politischen Umstände im wachsenden Frankenreich bei sowie das gemeinsame Wirken von Kirche und Staat, die Vertreter gesellschaftlicher Eliten nach Istrien entsandten, um die Voraussetzungen für eine neue Ordnung zu schaffen.

Die Sedimente der Jahrhunderte und die Veränderungen, die spätere Perioden mit sich brachten, ließen den einstigen Glanz der neu erschaffenen Stadt fast erlöschen. Es galt, in diese fragmentarisch erhaltene Geschichte einzudringen, sie zu erforschen, in logische Zusammenhänge zu gliedern, um dieses Erbe der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Dies alles in dem Bestreben, den alten Glanz zumindest teilweise aus dem Dunkel vergangener Zeiten wieder erscheinen zu lassen.

Deshalb ist die Einrichtung des Novigrader Lapidariums ein großer Schritt in dieser Richtung. Hinter seiner Eröffnung und seiner ständigen Ausstellung steckt jahrelange Forschungsarbeit, nicht nur an dem Material, das den Kern des Lapidariums bildet, sondern auch am Denkmalerbe der Stadt: an der ehemaligen Kathedrale und der Friedhofskirche der heiligen Agathe.

Die Errichtung des Lapidarium-Museums ist keineswegs der erste Versuch, dieses steinerne Gedächtnis zu retten und zu präsentieren. Im Laufe der Jahrhunderte unternahmen die Bürger der Stadt mehrere solche Versuche mit wechselndem Erfolg (s. den Beitrag von J. Ziherl). Jetzt hat sich das neue Lapidariumgebäude harmonisch in das urbane Gewebe eingefügt, und die Skulpturen wurden in architektonische Rahmen gesetzt, die ihren ursprünglichen Standort veranschaulichen, wie beispielsweise das Mauritius-Ziborium, dessen Umgebung die längst verschwundene Taufkapelle nachahmt. Was noch wichtiger ist, die erforschten und musealisierten Exponate sind in unmittelbarer Nähe der Kathedrale untergebracht, die zum Teil auch von den Forschungsarbeiten umfasst wurde und zu deren liturgischem Inventar sie größtenteils gehörten.

Die durchgeführten Untersuchungen haben zur besseren Kenntnis der Geschichte Novigrads beigetragen, und heute ist das Bild der frühmittelalterlichen Stadt viel deutlicher, als noch bis vor kurzem.

Frühmittelalterliches Novigrad
Obwohl Novigrad wahrscheinlich als Castrum Neapolis gegen Ende der Spätantike existierte - zumindest wenn nach dem Eintrag in der Geographia des Kartographen Anonymus von Ravenna aus dem 7. Jahrhundert zu Urteilen ist - zu einer Stadt mit allen relevanten Funktionen scheint es erst mit dem Beginn der karolingischen Herrschaft über Istrien geworden zu sein. Im Placitum von Ri¾ana wird es unter dem Namen Civitas nova erwähnt, das wahrscheinlich wörtlich auf eine neu erschaffene Stadt mit entsprechenden Funktionen Bezug nahm.

Das Denkmalerbe aus dieser Periode ist sehr schlecht erhalten, doch neuere Forschungen vervollständigen rasch das bisher lückenhafte Bild.

Dies bezieht sich vor allem auf die Kathedrale des heiligen Pelagius. Längst steht fest, nämlich seitdem an der Nordwand des Hauptschiffes drei Fenster mit halbrunden Bögen entdeckt wurden, dass sich in der heutigen Konstruktion eine mittelalterliche Kirche verbirgt. Es steht ebenso fest, dass die Krypta der Kirche ebenfalls aus dem Mittelalter stammt. Doch in den neuesten Erforschungen der Krypta wurden nicht nur neue Fragmente frühmittelalterlicher Skulptur entdeckt, die den Bestand des Lapidariums bereicherten, sondern einige morphologische Merkmale ermöglichten I. Matejèiæ, eine neue, äußerst überzeugende Interpretation vorzutragen und die Krypta, und damit auch die Kirche, in den Übergang vom 8. zum 9. Jahrhundert zu datieren (s. den Beitrag von I. Matejèiæ). Ihren typologischen Merkmalen nach behielt die Kathedrale, obwohl mehrmals umgebaut, ihre Bauform, die gerade für das Mittelalter bezeichnend ist - aber nicht in Istrien, sondern in den zentralen Teilen des Frankenreiches. Dass es sich dabei um keinen Zufall handelt, scheint auch die Grundrissgliederung der Friedhofskirche der heiligen Agathe zu bestätigen. Obwohl diese Kirche keine frühmittelalterlichen Spuren aufweist, erinnert sie stark an das karolingische Baumuster.

Die Kathedrale, deren ursprüngliches Aussehen noch zu erforschen bleibt, war prunkvoll ausgestattet, entsprechend der Bedeutung, die Novigrad gegen Ende des 8. Jahrhunderts erlangte. In der Krypta befand sich der Sarkophag mit den Reliquien des heiligen Pelagius. Der erhöhte Altarraum war durch eine reich verzierte Schranke mit durchbrochenen Pluteen abgegrenzt. Wahrscheinlich hatten auch die Treppenrampen dekorierte Brüstungen, wie auch der Ambon im unteren Teil. Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Altarschranke und des übrigen liturgischen Inventars ist zur Zeit nicht möglich, aber es kann festgestellt werden, dass am Übergang zwischen dem 8. und 9. Jh. mindestens zwei Werkstätten daran gearbeitet hatten und etwas später, im 9. Jh., noch eine dritte.

Der Kathedralenkomplex umfasste eine heute verschwundene Taufkapelle. Ihre exakte Position kann ohne archäologische Untersuchungen leider nicht ermittelt werden. Ihre Lozierung und Ausgrabung bleibt eine Priorität der zukünftigen Erforschung des Kathedralenkomplexes. Doch bevor die Taufkapelle abgerissen wurde, hielt der bekannte Ingenieur Léon Dufourny ihr Aussehen gegen Ende des 18. Jahrhunderts in einer Zeichnung fest. Sie war achteckig und hatte ein sechseckiges, eingelassenes Taufbecken, zu dem drei Treppen hinabführten. Darüber befand sich ein reich verziertes Ziborium. Der Form nach ist das Taufbecken mit einer Reihe bekannter frühchristlicher Beispiele aus dem nordadriatischen Raum verwandt. Dadurch stellt sich auch die Frage seiner Datierung. War die Taufkapelle Teil eines noch älteren frühchristlichen Komplexes, was ihre Form nahe legt, oder wurde sie eigens für das Ziborium des Bischofs Mauritius gegen Ende des 8. Jh. erbaut? Im Kontext der Ausweitung des Frankenreiches auf Istrien erscheint die letztere Möglichkeit immer wahrscheinlicher. Denn eine der grundlegenden Ideen des Reiches war die Rennovatio, die Rückkehr zu alten Vorbildern, die Nachahmung spätantiker Modelle.

Das Gesicht des frühmittelalterlichen Novigrad, wie wir es heute sehen, weist die Merkmale eines aufwendig ausgestatteten politischen und kirchlichen Zentrums der frühen Karolingerzeit auf. In der Politik des Reiches wurde Novigrad zum Zentrum seiner Ausweitung im Südosten gewählt, und die Protagonisten dieser Ereignisse waren hoch gestellte Vertreter politischer und kirchlicher Eliten.

Steinernes Gedächtnis
Das in Stein gefasste Gedächtnis umfasst nicht nur alte Inschriften. Die frühmittelalterlichen Steindenkmäler Novigrads sind auch als Beispiele bildender Kunst außerordentlich wertvoll. Mehr als ein hundert Fragmente und vollständig erhaltene Teile architektonischer Plastik und liturgischen Inventars des Kathedralenkomplexes liefern dem Forscher eine Reihe von Angaben. Zweifellos haben an der Ausstattung der Novigrader Kathedrale die besten Steinmetzwerkstätten vom Ende des 8. und Anfang des 9. Jh. teilgenommen, und der fertiggestellte Innenraum muss in der Tat prunkvoll ausgesehen haben.

Es wurde festgestellt, dass das Ziborium des Bischofs Mauritius das Werk einer friaulischen Steinmetzwerkstatt ist, die im 8. Jh. bedeutende kirchliche Zentren mit liturgischem Inventar belieferte. Es seien hier nur das Calixto-Ziborium aus Cividale, das Ziborium im Patriarchensitz Aquileia sowie die Skulpturen aus Riva d’Arcano und Sedegliano erwähnt.

Das liturgische Inventar der Kathedrale wurde von mindestens zwei Werkstätten hergestellt. Bisher konnte die Ausdrucksstärkere von ihnen ermittelt werden, deren Werke sich durch zarte Gebilde mit viel blankem Hintergrund, durch weiche Meißelung, eine lockere Motivanordnung und eine charakteristische Gestaltung zoomorpher Motive auszeichnen. Diese Skulpturen können mit der Werkstatt des "Kapitellmeisters aus Bale" in Verbindung gebracht werden, die nach heutigem Wissensstand am Kloster St. Maria Velika bei Bale, an der Pfarrkirche in Bale, an der St.-Thomas-Kirche bei Rovinj, in Dvigrad, Guran und ©ijana arbeitete.

Ein kleinerer Teil des liturgischen Inventars ist wirklich hervorragend gemeißelt. Die Zypressenmuster unter den Arkaden mit ihren verschlungenen Rosetten und regelmäßiger, tiefer Meißelführung deuten auf eine Werkstatt mit höchsten Qualitätskriterien hin. Obwohl es noch zu früh ist, von ihrem Opus und von ihrer Herkunft zu sprechen, kann man hervorheben, dass eine vorläufige Vergleichsanalyse gewisse Ähnlichkeiten mit der römischen Skulptur feststellen lässt. Ob es möglich ist, dass im Zuge der politischen Eroberung Istriens auch Steinmetzmeister dorthin entsandt wurden, das werden zukünftige Forschungen zeigen. Im geschichtlichen Zusammenhang der Errichtung eines wichtigen karolingischen Stützpunkts an der südwestlichen Grenze des Reiches würde dies jedoch nicht weiter verwunderlich sein.

Sehr bald darauf, im 9. Jahrhundert, verlor Novigrad diese strategische Bedeutung und blieb in Erinnerung als Stadt mit einer langen Geschichte und einer kurzen, glanzvollen Blüte.

Die Protagonisten
Die Eroberungen Karls des Großen wurden geistreich beschrieben: "Mit dem Schwert in der einen und dem Kreuz in der anderen Hand". Die Einheit von Kirche und Reich war in der Tat Staatsdoktrin, daher war es kein Wunder, dass die zwei Schlüsselfiguren aller Ereignisse am Übergang vom 8. zum 9. Jh. in Istrien ein Prälat, Bischof Mauritius, und ein Vertreter der politischen Elite, Dux Ivan, waren. Beide Gesandten setzten die Pläne der Machtzentren des Reiches und des Kirchenstaates um.

Historische Dokumente zu diesen beiden Persönlichkeiten sind sehr karg. Aus einer erstrangigen Quelle, dem Placitum von Ri¾ana aus dem Jahr 804, ist jedoch bekannt, das Dux Iohannes in Novigrad Hof hielt. In der Hierarchie des Frankenreiches unterstand Herzog Ivan dem Markgrafen von Friaul, dem Herrn über die Grenzpolizei, der wiederum direkt dem König unterstand. Bischof Mauritius wiederum wird etwas früher im Brief des Papstes Hadrian an Karl den Großen aus dem Jahr 776–780 erwähnt. Der Anlass war ein relativ tragischer Zwischenfall - der Bischof war von der lokalen Bevölkerung vertrieben worden. In der Folge gaben sich beide Hälften der obersten Gewalt (Reich und Kirche) Mühe, in diesem Gebiet von besonderem Interesse die Ordnung wiederherzustellen.

Die Worte des Papstes Hadrian aus dem genannten Brief nehmen sich fast programmatisch aus. Er erinnert Karl den Großen daran, dass "[..] der besagte Bischof Mauritius von Euch selbst entsandt wurde, die Einkünfte St. Peters auf dem besagten Gebiet einzutreiben [...]", und verlangt von ihm, "[...] Herzog Markarius den Befehl zu erteilen, den besagten Bischof Mauritius wider zu seinem Katheder zu verhelfen [...]".

Es kann kein deutlicheres Zeugnis von dem gemeinsamen Vorgehen des Papstes und des Kaisers in der Absicht, das Reich auf Istrien auszuweiten, geben.

Durch solche Unterstützung offenbar ermutigt, gab Bischof Mauritius das Ziborium für die Novigrader Taufkapelle in Auftrag, das mutmaßliche Meisterwerk einer Werkstatt aus Cividale.

Die Inschrift auf dem hervorragenden Werk, das er sich zum Vorbild nahm (nämlich das Ziborium des Patriarchen Calixto in Cividale), nachahmend, lobt Bischof Mauritius den Marmorschimmer des Ziboriums. (Hoc tigmen lucefluo almoque baptisterio digno marmore ...). Doch obwohl es nicht aus Marmor war, musste das Ziborium mit dem in Stein gemeißelten Namen seines Auftraggebers dennoch jeden Betrachter durch sein Aussehen, seine Botschaft und seinen Glanz beeindrucken.
 
Galerija Rigo
 
 

Prof. dr. sc. Miljenko Jurkoviæ
Die Denkmallandschaft Novigrads in Geschichte und Gegenwart


Ivan Matejèiæ
Frühmittelalterliche Denkmäler des Lapidariums und die Novigrader Kathedrale


Jerica Ziherl
Zusammengefasste Chronologie des Novigrader Lapidariums
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